Kaffee mit Schuss - Prosa |
Heute nachmittag hat die Leipziger Polizei bei einem Einsatz in Grünau ein Maschinengewehr "verloren". Bis zum Abend blieb die fieberhafte Suche nach der automatischen Waffe erfolglos, lediglich das Magazin tauchte wieder auf. So unerfreulich und beschämend diese Angelegenheit für die Polizeibeamten ist - kuriose bis tödliche Missgeschicke mit Dienstwaffen passieren andauernd. Sogar mir. Lange ist's her - noch vor meiner Zeit als Gastwirtin/Betreiberin der Geraer Livemusik-Kneipe "Engelskeller" und des Literatur-Cafés "Pegasus". Darauf möchte ich gar nicht näher eingehen.
Allerdings habe ich nur eine Kaffeemaschine erschossen. Aus dem krachpeinlichen Ereignis bastelte ich eine Kurzgeschichte. Längst vergessen, fiel mir das Prosa-Werk heute wieder ein und ich fand die Story, ohne lange zu suchen in den Tiefen meiner Festplatte. Viel ... ähm, ja was soll ich sagen - viel Vergnügen! :)
Kaffee mit Schuss
Montagmorgen.
Das Wochenende war erstaunlich angenehm. Samstag trank ich mit Freunden in
meiner Stammkneipe, den Sonntag verbrachte ich mit Ausnüchtern und Lesen.
Obwohl wir derzeit wegen der Krawalle in Kreuzberg in ständiger Bereitschaft
sein sollten, wurde ich nicht gerufen. Zum Glück - Dienstantritt mit Fahne, das
fehlte noch in meiner Personalakte.
Mit
einem Stapel pinkfarbener Ordner ging ich zu meinem Vorgesetzten. Der Alte
musste die Ermittlungsakten absegnen, bevor sie zum Staatsanwalt durften. Die
Tür war verschlossen. Auch gut.
Im
Gemeinschaftsbüro schellte das Telefon. An den anderen vier Schreibtischen saß
niemand, meine Kollegen waren auf Streife. Nur der Frischling hatte mal wieder
Anzeigendienst.
Der
Dienstgruppenleiter war in der Leitung.
„Genetti,
hier unten sitzen ein Handtaschendiebstahl, zweimal Parkplatzblech und eine
KV.“
„Ist
außer mir sonst niemand da?“, knurrte ich.
„Die
sind alle schon besetzt. Ich gebe Ihnen die Blechschäden. Kommen Sie schon!“
Klar,
wie immer. Ich blickte auf den Stapel rosa Hefter auf meinem Tisch, fast
ausschließlich Unfallfluchten ohne jeglichen Ermittlungsansatz. So ärgerlich
eine zerkratzte Stoßstange oder eine Beule auch war, die Betroffenen blieben
meist auf ihrem Schaden sitzen. Der Staatsanwalt schloss die Akten, noch bevor
er sie richtig öffnete. Laut Statistik
stammte ein Großteil der ungelösten Fälle dieser Dienststelle aus meiner
Bearbeitung.
Ich
griff seufzend nach der alten Leica und machte mich auf den Weg zur nächsten
spektakulären Aktenleiche.
Acht
Stunden bis Dienstende und anschließend Schießtraining.
Endlich
von der Anzeigenaufnahme zurück im Büro, stellte ich die Kaffeemaschine an. Es war ein orangefarbenes
Billigteil mit gesprungener Glaskanne, die noch eine Weile zu halten hatte.
Falls meine Kollegen vom Außendienst hereinkamen, freuten sie sich bestimmt
über die lauwarme Brühe.
Ich
setzte mich und nahm meine neue Waffe aus dem Holster. P 8 lautete der
einfallslose Serienname, aber immerhin Marke Heckler & Koch.
Ihr
Griff lag schwer und schwarz in meiner Hand.
Der
Lauf schimmerte dunkelmatt und die kleinen Schräubchen blitzten im Sonnenlicht,
das sich schräg durch die staubigen Scheiben kämpfte. Ich dachte wehmütig an
meine alte Makarov, die braun, zerkratzt und ausgemustert in irgendeinem
Stahlschrank verrottete, riss wütend den Schlitten nach hinten und zielte auf
die blubbernde Maschine.
Die
Neue wog ein paar Gramm mehr als die Makarov, mit vollem Magazin etwa ein Kilo.
Aus diesem Grund und weil die Pistole zusammen mit den Handschellen schon
schwer genug an meinen Hüftknochen rieb, ließ ich das Magazin prinzipiell und
entgegen der Dienstvorschrift im Schließfach. Außer dem Chef wusste das jeder.
Innendienst, pah!
Einen
Gegenstand aus so kurzer Distanz zu treffen ist ein Witz, dachte ich, visierte
den Plastikhenkel der Kanne an und zog den Abzug durch.
Das
erwartete Klicken verwandelte sich in eine gewaltige Detonation. Glas splitterte,
ein Loch bröckelte aus dem Putz, die Maschine wackelte, blieb jedoch stehen und
tropfte dampfend weiter. Ich konnte sie nur nicht mehr hören, ich war taub. Auf
dem Linoleumboden tanzte eine Hülse und rollte schließlich unter den
Aktenschrank.
Fassungslos
starrte ich auf die Pistole in meiner Hand, spürte den Herzschlag bis in die
Fingerspitzen. Wie zum Teufel kam die Patrone in den Lauf? Die Erkenntnis tröpfelte zäh in mein Hirn - wir hatten
am Freitag die abgezählte Übungsmunition für den heutigen Waffenunterricht in
Empfang genommen. Hatte ich völlig vergessen.
Weil
ich wie alle anderen schnell ins Wochenende wollte, schmiss ich meine Waffe ins
Schließfach, ohne wie sonst das Magazin zu entfernen. Verdammter Mist!
Als
die Betäubung nachließ, steckte ich vorsichtig den Kopf aus der Tür. Der Gang
lag ruhig, es war kein Mensch zu sehen. Hatte denn niemand den Knall gehört?
Kopfschüttelnd
stellte ich die Kaffeemaschine ab, kehrte die Scherben zu einem Häufchen und
wischte notdürftig die braune Pfütze auf. Die Spritzer an der Wand und das
zerfranste Loch konnte ich nicht einfach weg wischen. Die Kollegen würden sich
scheckig lachen und meine Personalakte hätte ihren ersten wirklichen Höhepunkt.
Es
war immer noch niemand auf dem Gang zu sehen. Selbst das Telefon schwieg.
Missmutig
verließ ich das Büro und warf der Sandkiste im Treppenhaus einen giftigen Blick
zu. „Lade-Ecke“ stand auf dem Schild darüber. Sollte ein unbeabsichtigter
Schuss abgehen, würde dieser im Sand verpuffen. Nur ich brachte es fertig und
zerlegte Kaffeemaschinen. Vor dem Zimmer des Waffenwartes holte ich tief Luft
und klopfte.
„WAS hast du gemacht?! Das glaube ich nicht,
das muss ich mir ansehen!“
Mit
beiden Händen stemmte sich Meyer von seinem Schreibtisch hoch, sein Bauch bebte
vor unterdrücktem Lachen.
„Könnten
wir vielleicht gleich einen Becher Gips mitnehmen für das Loch in der Wand“,
fragte ich forsch.
„Sachte,
Sachte. Erst mal schau ich mir das Drama an. Genetti erschießt Kaffeemaschine auf der Flucht!“
Theatralisch
spreizte er die Wurstfinger und formte in der Luft eine Schlagzeile. Sein
Gesicht strahlte vor Vergnügen.
„Na
mach schon, Genetti. Beweg deinen Hintern!“
Ich
lief vor ihm den wie ausgestorben wirkenden Gang entlang und konnte seinen
Blick im Rücken spüren. Meyer klimperte mit seinem dicken Schlüsselbund und
pfiff vor sich hin. Ich kniff meine Pobacken zusammen. Versuchte, möglichst
nicht zu stolpern.
Nachdem
er das „Drama“ ausführlich begutachtet hatte, stemmte er die Arme in seinen
Schwimmring und blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an. Auf der Stirn
hatten sich Schweißperlen gebildet, das ergraute Haar klebte an seinen
Schläfen.
„Was
machen wir denn nun mit dir, Genetti?“
Er
schien intensiv nachzudenken, seine Heiterkeit war wie weggeblasen, zwischen
den Brauen erschienen zwei senkrechte Furchen.
Mit der Zungenspitze fuhr er über seine feucht glänzenden Lippen. Sein
Blick fixierte meinen Solarplexus.
Ich
ignorierte seine lüsterne Mimik und sagte:
„Wie
wäre es, Herr Meyer, wenn wir uns jetzt um das Loch kümmern und Sie mir eine
Ersatzpatrone aushändigen.“
„Und
möglichst, ohne dass jemand davon erfährt oder der Vorfall in den Akten
auftaucht“, fragte er lauernd.
„Wenn
das geht…“
„Aber
sicher, Kleine, ich sehe da schon eine Möglichkeit, wie du heil aus der Sache
raus kommst. Aber das kostet dich eine Kleinigkeit.“
„Wie
bitte?“
Ich
schaute zur Tür. Trotz seiner Fülle drehte Meyer sich blitzschnell um. Ich
hörte ein Schließgeräusch und sah das große Schlüsselbund schwingend am
Türblatt schrammen, als er seine Pranke davon löste. Dann senkte er den Kopf,
machte einen Schritt auf mich zu. Ich wich zurück. Meine Beine fingen an zu
zittern, mein Herz klopfte bis zum Hals.
„Was
ist denn los, Genetti? Auf einmal Bedenken? Die Etage ist komplett leer, sind
alle zum Einsatz. Nur du und ich. Wir haben viel Zeit, sehr viel Zeit und
niemand wird uns stören.“
Er
grunzte.
„Ich
werde mich gründlich um dein kleines Loch kümmern, Genetti. Das wolltest du
doch?“
Unfähig
mich zu bewegen, starrte ich ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Mein
Herzschlag dröhnte in den Ohren, das Blut schoss mir ins Gesicht. Seine Stimme
kroch durch eine wabernde Nebelwand in mein Hirn und klang eine Oktave tiefer
als sonst.
Er
griff nach dem Koppel, öffnete es. Dabei sah er unentwegt auf meinen Schritt.
Mit dem Hosenknopf hatten seine dicken Finger Schwierigkeiten, der Stall
platzte jedoch rasch auf, schließlich hielt er seinen Pimmel in der Hand. Er
sah aus wie eine dicke rosa Weißwurst,
umkringelt von gelblichgrauen langen Schamhaaren.
Ich
fasste mir an den Hals, um den Würgereiz zu unterdrücken.
Ein
Tier. Meyer war ein unförmiges, uniformiertes, teilbehaartes Tier.
Es
schnaufte und machte einen weiteren Schritt auf mich zu. Plötzlich bekam das
fette Schweinsgesicht einen erstaunten Ausdruck. Das Tier Meyer hob langsam
eine Pfote.
Ich
sah wie sich seine Lippen bewegten, aber ich hörte nichts.
Die
Heckler&Koch hielt ich ausgestreckt in beiden Händen.
„Jeder
weiß, dass meine Waffe nie geladen ist“, sagte ich laut und formulierte dabei
jedes einzelne Wort überdeutlich.
„Normalerweise“,
fügte ich hinzu.
„Du
Mistkröte“, geiferte Meyer.
Ich
war mir sicher, Schaum vor seinem Maul zu sehen.
Er ging
einen Schritt rückwärts, trat direkt in den Scherbenhaufen. Wie kleine Perlen
glitten die Glassplitter unter seinen Füßen hinweg. Er ruderte mit den Armen,
verlor das Gleichgewicht und plumpste auf seinen fetten Hintern.
Plötzlich
musste ich lachen und steckte die Waffe zurück ins Holster.
„Wie
man eine Tür öffnet, wissen Sie ja“, sagte ich, deutete mit einem Nicken zum
Ausgang und wählte die Nummer des Dienstgruppenleiters.
© C.G.
Bis auf die Episode mit der
erschossenen Kaffeemaschine (hat tatsächlich so stattgefunden) sind
übrige Handlung und Personen frei erfunden. Auch Ort und Dienststelle sind geändert.
Waffentausch = nach der
Wende wurden die ausgedienten, aber beliebten russischen Pistolen, Marke
Makarov, gegen moderne Handfeuerwaffen ausgetauscht.
KV = Körperverletzung
KV = Körperverletzung
Mein Schlusswort fehlt noch - also, träumt schön.
Traumzauberhafte Grüße, Claudia
ich bin sprachlos ...
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